Die Deutsche Akademie für Kulinarstik (DAfK) hat eine neue Homepage. Die DAfK ist ab sofort unter www.kulinaristik.eu zu erreichen.
Donnerstag, 22. Dezember 2016
Dienstag, 20. Dezember 2016
Archiv & Dokumentation: Gründungsaufruf zur AG Kulinarische Ethnologie 2009 von Marin Trenk
Im Jahr 2009 wurde die AG Kulinarische Ethnologie in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) gegründet und offiziell institutionalisiert. Diesem Vorgang ging ein Gründungsaufruf von Prof. Dr. Marin Trenk, der an der Goethe Universität Frankfurt Ethnologie lehrt, voraus. Dieser Gründungsaufruf soll hier folgenden als Zeitdokument im original Wortlaut dokumentiert werden:
"Aufruf zur Gründung der AG Kulinarische Ethnologie
Nahrung und Essen sind für alle Gesellschaften von grundlegender Bedeutung und die Küche oder „Cuisine“ ist ein wesentlicher Teil jeder Kultur. Da beim Umgang mit Essen und Trinken die verschiedensten Aspekte einer Gesellschaft bedeutsam sind und wirksam werden, haben wir es hier mit einem klassischen „gesellschaftlichen Totalphänomen“ im Mauss’schen Sinne zu tun. Dennoch haben Ethnologen die von Kultur zu Kultur unterschiedlichen kulinarischen Vorstellungen und Praktiken lange Zeit eher zögernd zur Kenntnis genommen und nur ansatzweise beschrieben. Vielleicht waren, wie Sidney Mintz vermutete, die mit der Herstellung und Zubereitung von Nahrungsmitteln verbundenen Tätigkeiten vielen (männlichen) Ethnologen einfach zu banal; wahrscheinlich war dies aber auch die Folge einer verbreiteten Geringschätzung des Kulinarischen.
Die kulturspezifischen Foodways wurden in der Ethnologie vor allem thematisiert, wenn sie Aufschluss über andere Aspekte der Kultur versprachen: wie etwa Essen die Menschen mit ihren Göttern verband, Loyalitäten zementierte oder sie daran erinnerte, wer sie im Verhältnis zu anderen waren. Demnach interessierte nicht das „kulinarische Feld“ an sich, sondern nur, wozu Essen und Trinken gebraucht werden konnten.
Dies hat sich vor allem durch zwei Arbeiten geändert: Im Anschluss an die Studie von Jack Goody (1982) über den Zusammenhang von kulinarischer und sozialer Differenzierung und jener von Mintz (1985) zum Anteil des Zuckers an der Herausbildung der kapitalistischen Moderne hat sich die Thematik als eigenständiges Forschungsfeld etabliert. Das Interesse an Prozessen der Globalisierung schließlich hat der „Anthropology of Food“ endgültig zum Durchbruch verholfen.
Seither haben sich einige der anregendsten Arbeiten Fragen der Diffusion und Transformation, aber auch der Aneignung, Identität und Beharrung zugewandt:
- Wie erklärt sich die Ausbreitung des amerikanischen Fastfood weltweit und besonders in den hoch differenzierten Esskulturen Asiens? Wie wird Fastfood angeeignet? Und welche lokalen Auswirkungen ergeben sich daraus (Watson 1997)?
- Wie verläuft - quasi im Gegenzug - die Aneignung zahlreicher außereuropäischer und besonders asiatischer Küchen im Westen und zunehmend allen Teilen der Welt? Welche Küchen oder auch nur einzelne Speisen globalisieren sich, und welche scheinen dafür (noch) nicht zu taugen? Wie passen das immer breiter gefächerte Angebot an gastronomischen Richtungen und Lebensmitteln und die sich gleichzeitig rasant ausweitenden Nahrungstabus und Meidungen im Westen zusammen?
- Welchen Anteil haben Kochbücher an der Entstehung einer „nationalen Küche“ (Appadurai 1988)? Wie entstehen überhaupt nationale Küchen in einer Welt, die vor allem ethnische und regionale Esstraditionen kennt? Und vermögen eigentlich nationale Küchen über eine rein „textuelle“ Realität hinaus zu existieren?
- Wie gehen die neuen Eliten und aufstrebenden Mittelklassen mit dem kulinarischen Erbe der Kolonialzeit und den gegenwärtigen globalen Tendenzen um? Hat das „einfache Mahl“ (Spittler 1992) der Agrargesellschaften im globalen Zeitalter eine Zukunft?
- Doch nicht alles wandelt sich. Gerade das Essverhalten wird gemeinhin als besonders konservativ angesehen. Welche Ernährungsweisen bleiben also gleich und stabil?
Dies sind selbstverständlich nur einige Fragen und Aspekte. Die „AG Kulinarische Ethnologie“ richtet sich an alle die Interesse haben, sich mit dem Thema Essen und Kultur zu beschäftigen. Ein erster Workshop ist für die nächste Jahrestagung der DGV 2009 geplant.
Kontakt:
Prof. Dr. Marin Trenk
Institut für Historische Ethnologie
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Grüneburgplatz 1
60323 Frankfurt/M
trenk@frobenius-institut.uni-frankfurt.de"
Freitag, 11. November 2016
CfA - „Stabile und fragile Netzwerke und Räume kulinarische Vergemeinschaftung“
AG Kulinarische Ethnologie (DGV)
CfA
„Stabile und fragile Netzwerke und Räume kulinarischer Vergemeinschaftung“
Workshop der AG Kulinarische Ethnologie auf dem DGV Kongress 2017
4.-7.10.2017, Freie Universität Berlin
Organisation: Dr. Daniel Kofahl, Dipl.-Soz. Bettina Mann, Sebastian Schellhaas M.A.
Über die alltägliche Ernährungspraxis und damit verbunden kulinarische sowie gustatorische Kulturformen erzeugen Menschen Verbindungen und Abgrenzungen, stabilisieren Kollektive und konstruieren Räume. In Zuge der Globalisierung der Weltgesellschaft, bedingt durch die Faktoren erhöhte personale Mobilität im Raum und Digitalisierung der Kommunikation, hat sich eine kulinarische Netzwerkkultur ausgebildet. Der Kennzeichen ist neben einer zunehmenden Binnendifferenzierung, die Aushandlung der Stabilität und Fragilität von ernährungskulturellen Identitäten.
Das Rahmenthema der Tagung aufnehmend sollen auf dem Workshop neue Formen kulinarischer Vergemeinschaftung im Fokus stehen, und dabei Fragen der innovativen Produktion von Lebensmitteln und Speisen, aber auch nach diversen Praktiken des Konsums und der Identifikationsangebote aufgreifen. Die Vielfalt von und der reflexive Diskurs über Ernährungsweisen unter den spezifischen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts stellen ein ideales Forschungsfeld für die Untersuchung neu entstehender Räume des Kommensalismus dar. Sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum entstehen über neue oder wiederentdeckte Formen der gemeinsamen Produktion, des Teilens und des gemeinsamen Verzehrs neue Zugehörigkeiten und Vergemeinschaftungen, aber auch Abgrenzungen und Widerständigkeiten, die in affektive, moralische und politische Praktiken eingebunden sind und zum Beispiel Ausdruck von Lebensstilkulturen sind oder auch kritisch auf bestehende Muster von Ungleichheit und (Verteilungs-) Gerechtigkeit sowie den Umgang mit Lebensmitteln Bezug nehmen. Der Workshop sucht nach Forschungen, die weltweit diesen neuen Orten, Gemeinschaften, Netzwerken und Grenzen nachspüren.
Bewerbungen für einen Vortrag auf dem Workshop der AG Kulinarische Ethnologie bitte mittels eines Abstracts mit maximal 1.200 Zeichen (inkl. Leerzeichen) sowie einer Kurzversion von nicht mehr als 300 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bis 15.2.2017 an kofahl@apek-consult.de
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Essen und Trinken vergemeinschaftet - lokal, global, digital. |
Sonntag, 13. März 2016
Street Food - Berlin / New York / Peking
Die PR Agentur OSK Kommunikation hat einen äußerst geschmackvollen Kurzfilm über die Street Food Szenen in Berlin, New York und Peking gedreht. Dabei hat sich OSK nicht gescheut, auch die (ernährungskultur-)wissenschaftliche Perspektive zu Wort kommen zu lassen.
Der Film ist wirklich sehenswert und ist bei YouTube online hier klicken

Videoscreenshot
https://www.youtube.com/watch?v=PhKgvGYMhxg
Einen ausführlichen Bericht zum Video auf dem Blog von OSK gibt es hier
Mittwoch, 10. Februar 2016
Neue Zahlen zum Biomarkt
Wie jedes Jahr zur Eröffnung der "Biofach"-Messe hat heute der BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) die neusten Zahlen, Daten und Fakten zur Entwicklung der Bio-Branche vorgestellt. Die Vertreter der BÖLW konnten diesmal ein paar für sie sehr erfreuliche Zahlen präsentieren. Darunter zum einen das Umsatzwachstum bei Bio-Lebensmitteln auf dem deutschen Markt um satte 11,1 % (von 7,76 Mrd. 2014 auf 8,62 Mrd. Euro 2015), aber auch der Anstieg des Anteils von Biobetrieben an der gesamten Landwirtschaft von 8,4% (2014) auf 8,7% (2015). Dazu blieben die Erzeugerpreise bei wichtigen Lebensmitteln, wie etwa Milch, stabil, während sie auf dem Markt für konventionelle Produkte einbrachen (was z.B. dem Wegfall der EU-Förderquote u.ä. geschuldet ist).
Hier nun noch einige Aussagen aus dem Text, die nicht ganz so prominent kommuniziert wurden:
a.) Zwar ist der Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe, die nach Bio-Standards produzieren, am gesamten Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe gestiegen, jedoch ist der prozentuale Anteil der biologisch bewirtschafteten Fläche an der Gesamtfläche der Landwirtschaft zurückgegangen: von 6,5% (2014) auf 6,4 % (2015). Ein Grund dafür kann darin liegen, dass es Konzentrationstendenzen bei den landwirtschaftlichen Betrieben gibt und dass die immer größer werdenden konventionell arbeitenden Betriebe einen Flächenzuwachs zu verzeichnen hatten, der über den 2,9% Flächenzuwachs beim Biolandbau lag. So scheinen es dann eher kleinere Betriebe zu sein, die auf Bioproduktion umstellen, während die großen Player konventionell wirtschaften.
b.) Schon vor einigen Tagen wurde vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) ein Umsatzplus von 11,4% im Naturkost-Facheinzelhandel verkündet und gefeiert. Dabei handelt es sich vor allem um städtisches, also ein durch und durch urbanes Phänomen. Es sind nicht die kleinen Biolädchen auf dem Land die vom Bio-Umsatzplus profitieren, sondern die großen Ketten mit ihren Filialen (wie Alnatura mit seinen Supermärkten). Von den 93 Neueröffnungen waren die überwiegende Mehrzahl größere Läden (Fläche >400m²) in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern, während kleine Läden (<99m²) in Kleinstädten und im ländlichen Raum die meisten der 84 Geschäftsschließungen ausmachten.
c.) Das Umsatzplus ist vor allem einer zunehmenden Konventionalisierung des Bio-Lebensmittelkonsums zu verdanken. Dazu gehört zum einen, dass Bio-Lebensmittel immer stärker in herkömmlichen Supermarkt- oder Discounterfilialen erworben werden (also bei den fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro, die sich rund 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandel-Marktes aufteilen). Dort wuchsen die Umsatzzahlen mit Bio-Produkten mit 13% überdurchschnittlich stark.
d.) Irritierend ist - und leider habe ich darauf trotz Nachfrage an verschiedene Ansprechpartner noch keine Antwort erhalten -, dass aus dem Portfolio der Marktentwicklung bei einzelnen Bioprodukten ausgerechnet "Brot" - ein Lebensmittel, mit dem in Deutschland pro Jahr etwa 13,52 Mrd. Euro umgesetzt werden - gestrichen wurde, und stattdessen "Speiseöl" gelistet wird.
Hier nun noch einige Aussagen aus dem Text, die nicht ganz so prominent kommuniziert wurden:
a.) Zwar ist der Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe, die nach Bio-Standards produzieren, am gesamten Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe gestiegen, jedoch ist der prozentuale Anteil der biologisch bewirtschafteten Fläche an der Gesamtfläche der Landwirtschaft zurückgegangen: von 6,5% (2014) auf 6,4 % (2015). Ein Grund dafür kann darin liegen, dass es Konzentrationstendenzen bei den landwirtschaftlichen Betrieben gibt und dass die immer größer werdenden konventionell arbeitenden Betriebe einen Flächenzuwachs zu verzeichnen hatten, der über den 2,9% Flächenzuwachs beim Biolandbau lag. So scheinen es dann eher kleinere Betriebe zu sein, die auf Bioproduktion umstellen, während die großen Player konventionell wirtschaften.
b.) Schon vor einigen Tagen wurde vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) ein Umsatzplus von 11,4% im Naturkost-Facheinzelhandel verkündet und gefeiert. Dabei handelt es sich vor allem um städtisches, also ein durch und durch urbanes Phänomen. Es sind nicht die kleinen Biolädchen auf dem Land die vom Bio-Umsatzplus profitieren, sondern die großen Ketten mit ihren Filialen (wie Alnatura mit seinen Supermärkten). Von den 93 Neueröffnungen waren die überwiegende Mehrzahl größere Läden (Fläche >400m²) in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern, während kleine Läden (<99m²) in Kleinstädten und im ländlichen Raum die meisten der 84 Geschäftsschließungen ausmachten.
c.) Das Umsatzplus ist vor allem einer zunehmenden Konventionalisierung des Bio-Lebensmittelkonsums zu verdanken. Dazu gehört zum einen, dass Bio-Lebensmittel immer stärker in herkömmlichen Supermarkt- oder Discounterfilialen erworben werden (also bei den fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro, die sich rund 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandel-Marktes aufteilen). Dort wuchsen die Umsatzzahlen mit Bio-Produkten mit 13% überdurchschnittlich stark.
d.) Irritierend ist - und leider habe ich darauf trotz Nachfrage an verschiedene Ansprechpartner noch keine Antwort erhalten -, dass aus dem Portfolio der Marktentwicklung bei einzelnen Bioprodukten ausgerechnet "Brot" - ein Lebensmittel, mit dem in Deutschland pro Jahr etwa 13,52 Mrd. Euro umgesetzt werden - gestrichen wurde, und stattdessen "Speiseöl" gelistet wird.
Interview mit Ernährungssoziologe zur Biofach 2016
Interview von Nordwestradio/radioBremen mit Dr. Daniel Kofahl (APEK) zur Eröffnung der "Biofach 2016 - Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel":
Dienstag, 2. Februar 2016
Gentleman la Cuisine - Twitter Ernährungskultur (2)
https://twitter.com/kallenje/status/689859051484758016
Es gibt in der Gegenwartskultur einen Hang zur
übertrieben Mäßigung. Dies ist ein paradoxes Phänomen, denn es ist das Ideal, es sich nicht zu ideal (vorzüglich) gehen zu lassen
beziehungsweise es ist eine Form unvernünftig heftiger Vernunft.
Bei dem Anspruch des Ideals von der übertriebenen
Mäßigung handelt es sich entweder:
(i) um einen Rechtfertigungsformalismus, mit dem
die Kultur und dann auch individuelle Personen selbst, ihre strukturelle Unmöglichkeit
zum es sich unbeschwert Gut-gehen-lassen hinnehmen lernen. Wer gar nicht
das nötige Geld oder die nötige Frei-Zeit hat, stets lange gemütlich im
Himmelbett auszuschlafen und so ausgiebig genussvoll Leckereien zu schlemmen,
wie man möchte, der akzeptiert dies eher, wenn er glaubt, der Verzicht darauf
sei vernünftig und anständig. Alle anderen werden entweder depressiv
(passiv-fatalistischer Typ) oder neigen zur Revolte (aktiv-optimistischer Typ).
Beides unter bürgerlich-kapitalistischen Deutungsmustern wenig geschätzte
Lebensstilentwürfe.
oder (ii) um bigottes Geschwätz. In dieser Form
kommt es vor allem bei Personen vor, die es sich selbst sehr wohl gut gehen
lassen, aber andere gerne zur Mäßigung aufrufen. Seit jeher ist dies die Rolle
des aristokratischen oder großbürgerlichen Adels gewesen, der bei heißer
Schokolade, Wildbret oder delikaten Häppchen vom üppigen Büffet, die Fress-,
Spiel- und Sexsucht der niederen Massen stöhnend bedenkt oder pädagogisch
bedauert. Inzwischen findet sich dieses Verhalten als Angewohnt allerdings bei
vielfältigen Personengruppen in diversen sozialen Positionen und Lagen.
So kommen beide Formen des Ideals
übertriebener Mäßigung ebenfalls in den herkömmlichen Paarbeziehung vor, das heißt,
in der Kommunikation zwischen den Liebespartnern. Dabei ist es in Bezug auf die
Ernährungspraxis oftmals die Frau, die unter das Mäßigungsdiktat gerät. Qua so
mancher Erzählung, die über "das weibliche Wesen" kursiert, ist sie "von Natur" weniger vernünftig, mehr
gefühlsbetont und vor allem, wenn man(n) nicht mit Argusaugen wacht, neigt sie zur
Übertreibung in zahlreichen Facetten (Hysterie, Naschsucht, Schwärmerei etc.). Und während Männer immer gerne dazu aufgefordert, teilweise auch
genötigt werden, noch etwas "größere Portionen zu nehmen" oder gleich
Truckerteller und Schwenkkrüge bekommen, weil sie aus ihrem Naturell heraus
schon "mehr brauchen", sind Frauen zum
Maßhalten angehalten.
Dazu steht die moderne, bürgerliche Frau unter
einem Schlankheitsdiktat, das medial mit einer Brachialität in die Ernährungs-
und Körperkultur gepresst wird, dass vielen der Appetit verleidet wird.
Diätbedingten (Heiß-)Hunger haben sie, die Frauen, selbstverständlich trotzdem.
Leider machen sich allzu oft ihre Partner zu billigen Handlagern des körperlichen und
nutritiven Mäßigungsfanatismus. Zwar ist überschwängliche Mäßigung nicht weit
entfernt von lauer Mäßigkeit, dennoch, Mäßigungsapostel erinnern nur zu gerne ihre Partnerin rüperlhaft daran, beim Essen nicht
zu sehr über die Stränge zu schlagen, "auf die Figur zu achten" oder missbilligen körperliche Proportionen, die durch Essen und Trinken verursacht
worden sein sollen und die sie kleinmütig für fehlerhaft zu halten gelernt haben.
Jenny
Kallenbrunnen weißt dagegen ganz richtig darauf hin, dass das auch anders
geht! Der wahre Gentleman ist immer ebenso ein Gentleman la Cuisine. Er ist sich
bewusst, dass Genuss und Lebensfreude, und dazu gehört nun mal gutes Essen und
Trinken, die Partnerin stets glücklicher und damit schöner machen, und er weiß
ebenso, dass die Dame der Wahl sehr wohl selbst bestimmen knan, wieviel sie
noch aus dem Kühlschrank nehmen mag. Da ihr hierbei von der Mäßigungskultur
mitsamt deren massenmedialen Propagandasalven generell schon ernährungskulturelle
Hemmschwellen vor der Kühlschranktür errichtet werden, ist es nur folgerichtig,
dass "echte Männer" ihrer Frau die Kühlschranktür aufhalten. Das ist höflich, das
ist genussförderlich, das ist - kurzum - das Minimum partnerschaftlicher
Arbeits- und Aufmerksamkeitsökonomie. Dann ist es übrigens gar nicht so
unwahrscheinlich, dass die Herzdame nachher durchaus auch noch etwas für den Partner
aus dem Kühlschrank zu essen und zu trinken auf dem Arm hat.
Literatur
Robert Pfaller (2011): Wofür es sich zu leben lohnt: Elemente materialistischer Philosophie. S. Fischer.
Christoph Klotter (2008). Der Krieg gegen Übergewicht: Warum er geführt wird, warum er verloren ist, wie er beendet werden könnte. Mitteilungen – Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. 16, 2 – 11.
Donnerstag, 28. Januar 2016
Auf die Ernährung der Kinder achten - Twitter Ernährungskultur (1)
https://twitter.com/FrauLaufstrumpf/status/689891625183657985
Auf die "richtige" Ernährung von Kindern zu achten
ist heutzutage vielen Menschen ein wichtiges Anliegen. Und zwar ziemlich
unabhängig davon, ob diese Menschen selber Kinder haben oder nicht. Nicht
zuletzt ist es den Kindern selbst ein Bedürfnis, dass sie "richtig" ernährt
werden. Zur Ernährung von Kindern hat eigentlich jede/r etwas in einer
Diskussion beizutragen.
Um Diskussionen handelt es sich dabei allerdings
allemal. Denn es ist erstens nicht ganz klar, wer eigentlich das primäre Recht
- und dann auch die Pflicht - hat, auf die Ernährung der Kinder zu achten, und
zweitens ist voll und ganz ungeklärt, was das denn genau ist, die
"richtige Ernährung von Kindern".
Fangen wir hinten an: fragt man Kinder, was die
"richtige Ernährung" für sie ist, erhält man widersprüchlichste Aussagen.
Zum einen wissen Kinder ziemlich gut, was z.B. "gesunde" und
"ungesunde" Lebensmittel sind. Sie wissen, dass ein "Apfel"
eher "gesund" ist und "Schokoweihnachtsmänner" eher
"ungesund". Allerdings essen sie dann trotzdem lieber die Schokolade
und nicht das Obst, unter anderem, so zeigen Studien, weil sie schon prinzipiell
davon ausgehen, dass "gesund" eher "nicht lecker" ist. Und
Geschmack und Genuss, das wissen die jungen Menschen eben schon/noch, sind wundervolle Erlebniskomponenten von Essen und Trinken.
Viele Erwachsene gehen dagegen davon aus, Kinder
sollten sich tatsächlich besser "gesund" als unbedingt "maximal
genussvoll" ernähren. Fittes Gehirn, ausgeprägtes Wachstum, attraktives
Aussehen, soziale Akzeptanz - all das hängt in der Welt der Erwachsenen eher
mit "gesunder" Ernährung zusammen, und wird von "ungesunder" Ernährung sabotiert.
Da wir nicht in einer Welt der dekadenten Bohème leben, wo zum Beispiel ein
degenerierter, hässlicher, eigenbrötlerischer Poet von minderem Wuchs als Ideal
des Menschseins gelten könnte, sondern wir uns in einer Kultur der bürgerlichen
Leistungsgesellschaft befinden, in der alle hochintelligent, großgewachsen, symmetrisch
hübsch und allseits beliebt respektive respektiert sein sollen, tendiert
man dazu, Kinder möglichst "gesund" ernähren zu wollen. Aus den Kleinen soll
ja mal was werden! Was eine "gesunde" Ernährung ist, das ist jedoch
umstritten. Wer nur von Äpfeln und Möhren lebt wird auf Dauer ebenso
körperliche und soziale Mangelerscheinungen haben, wie jemand der nur
Hamburger isst und Cola trinkt. Und auch Zucker tötet bekanntlich nicht mit der
Einnahme des ersten Löffels. Allerdings, das kann man schon so attestieren:
Schokolade, selbst wenn sie in Form von Weihnachtsmännern daherkommt, gilt vieler
Orten doch als teuflisches Naschwerk, ist also Teil einer "falschen"
bzw. "Fehl-" E/ernährung. An den Schokokonsum anschließender
"fehlender Hunger auf Gesundes" könnte ebenso die Folge sein wie Karies, Adipositas und Diabetes. So erzählt man sich zumindest.
Eine Diskrepanz gibt es noch bezüglich der
Frage, "wer" das Recht und die Pflicht hat, darauf zu achten, dass
die Kinder "richtig" ernährt sind. Die einen sagen, es ist Aufgabe
des Staates, der fraglos nun seit langem schon darauf zu achten hat, dass alle
seine Mitglieder (je nach Staatsform wahlweise auch "Untertanen") in
ausreichendem Maße mit Nährstoffen versorgt sind bzw. versorgt sein könnten. Wenn sie denn wollen - außer Kontrolle geratener Magerwahn ist schließlich hier und dort en vogue. Wieder andere sagen, es sei Aufgabe der
Lebensmittelproduzenten und -händler, nur Produkte anzubieten, die eine
"richtige" Ernährung fördern ("Apfelringe") und eine
"falsche" Ernährung (mit "Pommes",
mit "Schokoweihnachtsmännern") möglichst vermeiden. Letztendlich bleibt
es in der Praxis dann doch an den Eltern, und hier wohl zumeist an den Müttern
(oder ihren professionellen Stellvertreterinnen, den ErzieherInnen) hängen,
darauf zu achten, dass die milieuspezifischen und ernährungskulturellen
Vorgaben für eine "richtige" Ernährung eingehalten werden.
In diesem Sinne macht Frau Laufstrumpf genau
das Richtige: Sie hat in ihrem kinderreichen Familienhaushalt offensichtlich
noch einen Schokoweihnachtsmann vorrätig. Als verantwortungsvolle Mutter
obliegt es ihr von staatlicher wie von moralisch-kultureller Seite, auf die
Ernährung ihrer Kinder zu achten. Schokoweihnachtsmänner sollten, so die
vorherrschende Ernährungslehre, nicht den Weg auf den Speiseplan des Nachwuchses
finden. Allerdings: Essen schmeißt man auch nicht weg! Also verspeist
Frau Laufstrumpf den Schokoweihnachtsmann selbst. Und zwar
"heimlich". Sie schlägt damit mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sie
"rettet" das Lebensmittel als - wenngleich zweifelhaften -
Nährstofflieferanten. Sie bewahrt ihre Kinder vor den negativen Folgen einer
solch süßen Ernährungspraxis. Und sie tut dies zudem hinter deren Rücken, um
weiterhin den Schein als sich "gesund" ernährende Erwachsene aufrecht
zu erhalten. Denn auch darum geht es hier: Die Kinder vor der
(Ernährungs-)Realität der Erwachsenenwelt zu schützen. Sonst nehmen sie
sich alsbald ein Vorbild an uns Schoko-, Pommes-, Tortenessern - und werden noch so
wie wir. Und das gilt es auf alle Fälle zu verhindern.
Verantwortungsbewusstssein in Bezug auf gesunde Ernährung von Kindern, so sehen wir, muss nicht zwangsläufig lustfeindlich sein!
----
Literaturhinweise
Anne Lanfer et al. (2013): Predictors and correlates of taste preferences in European children: The IDEFICS study. Food Quality and Preference 27 (2013), pp. 128–136.
Michal Maimaran and Ayelet Fishbach (2014): If It’s Useful and You Know It, Do You Eat? Preschoolers Refrain from Instrumental. In: FoodJournal of Consumer Research Vol. 41, No. 3 (October 2014), pp. 642-655.
Verantwortungsbewusstssein in Bezug auf gesunde Ernährung von Kindern, so sehen wir, muss nicht zwangsläufig lustfeindlich sein!
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Literaturhinweise
Anne Lanfer et al. (2013): Predictors and correlates of taste preferences in European children: The IDEFICS study. Food Quality and Preference 27 (2013), pp. 128–136.
Michal Maimaran and Ayelet Fishbach (2014): If It’s Useful and You Know It, Do You Eat? Preschoolers Refrain from Instrumental. In: FoodJournal of Consumer Research Vol. 41, No. 3 (October 2014), pp. 642-655.
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