https://twitter.com/FrauLaufstrumpf/status/689891625183657985
Auf die "richtige" Ernährung von Kindern zu achten
ist heutzutage vielen Menschen ein wichtiges Anliegen. Und zwar ziemlich
unabhängig davon, ob diese Menschen selber Kinder haben oder nicht. Nicht
zuletzt ist es den Kindern selbst ein Bedürfnis, dass sie "richtig" ernährt
werden. Zur Ernährung von Kindern hat eigentlich jede/r etwas in einer
Diskussion beizutragen.
Um Diskussionen handelt es sich dabei allerdings
allemal. Denn es ist erstens nicht ganz klar, wer eigentlich das primäre Recht
- und dann auch die Pflicht - hat, auf die Ernährung der Kinder zu achten, und
zweitens ist voll und ganz ungeklärt, was das denn genau ist, die
"richtige Ernährung von Kindern".
Fangen wir hinten an: fragt man Kinder, was die
"richtige Ernährung" für sie ist, erhält man widersprüchlichste Aussagen.
Zum einen wissen Kinder ziemlich gut, was z.B. "gesunde" und
"ungesunde" Lebensmittel sind. Sie wissen, dass ein "Apfel"
eher "gesund" ist und "Schokoweihnachtsmänner" eher
"ungesund". Allerdings essen sie dann trotzdem lieber die Schokolade
und nicht das Obst, unter anderem, so zeigen Studien, weil sie schon prinzipiell
davon ausgehen, dass "gesund" eher "nicht lecker" ist. Und
Geschmack und Genuss, das wissen die jungen Menschen eben schon/noch, sind wundervolle Erlebniskomponenten von Essen und Trinken.
Viele Erwachsene gehen dagegen davon aus, Kinder
sollten sich tatsächlich besser "gesund" als unbedingt "maximal
genussvoll" ernähren. Fittes Gehirn, ausgeprägtes Wachstum, attraktives
Aussehen, soziale Akzeptanz - all das hängt in der Welt der Erwachsenen eher
mit "gesunder" Ernährung zusammen, und wird von "ungesunder" Ernährung sabotiert.
Da wir nicht in einer Welt der dekadenten Bohème leben, wo zum Beispiel ein
degenerierter, hässlicher, eigenbrötlerischer Poet von minderem Wuchs als Ideal
des Menschseins gelten könnte, sondern wir uns in einer Kultur der bürgerlichen
Leistungsgesellschaft befinden, in der alle hochintelligent, großgewachsen, symmetrisch
hübsch und allseits beliebt respektive respektiert sein sollen, tendiert
man dazu, Kinder möglichst "gesund" ernähren zu wollen. Aus den Kleinen soll
ja mal was werden! Was eine "gesunde" Ernährung ist, das ist jedoch
umstritten. Wer nur von Äpfeln und Möhren lebt wird auf Dauer ebenso
körperliche und soziale Mangelerscheinungen haben, wie jemand der nur
Hamburger isst und Cola trinkt. Und auch Zucker tötet bekanntlich nicht mit der
Einnahme des ersten Löffels. Allerdings, das kann man schon so attestieren:
Schokolade, selbst wenn sie in Form von Weihnachtsmännern daherkommt, gilt vieler
Orten doch als teuflisches Naschwerk, ist also Teil einer "falschen"
bzw. "Fehl-" E/ernährung. An den Schokokonsum anschließender
"fehlender Hunger auf Gesundes" könnte ebenso die Folge sein wie Karies, Adipositas und Diabetes. So erzählt man sich zumindest.
Eine Diskrepanz gibt es noch bezüglich der
Frage, "wer" das Recht und die Pflicht hat, darauf zu achten, dass
die Kinder "richtig" ernährt sind. Die einen sagen, es ist Aufgabe
des Staates, der fraglos nun seit langem schon darauf zu achten hat, dass alle
seine Mitglieder (je nach Staatsform wahlweise auch "Untertanen") in
ausreichendem Maße mit Nährstoffen versorgt sind bzw. versorgt sein könnten. Wenn sie denn wollen - außer Kontrolle geratener Magerwahn ist schließlich hier und dort en vogue. Wieder andere sagen, es sei Aufgabe der
Lebensmittelproduzenten und -händler, nur Produkte anzubieten, die eine
"richtige" Ernährung fördern ("Apfelringe") und eine
"falsche" Ernährung (mit "Pommes",
mit "Schokoweihnachtsmännern") möglichst vermeiden. Letztendlich bleibt
es in der Praxis dann doch an den Eltern, und hier wohl zumeist an den Müttern
(oder ihren professionellen Stellvertreterinnen, den ErzieherInnen) hängen,
darauf zu achten, dass die milieuspezifischen und ernährungskulturellen
Vorgaben für eine "richtige" Ernährung eingehalten werden.
In diesem Sinne macht Frau Laufstrumpf genau
das Richtige: Sie hat in ihrem kinderreichen Familienhaushalt offensichtlich
noch einen Schokoweihnachtsmann vorrätig. Als verantwortungsvolle Mutter
obliegt es ihr von staatlicher wie von moralisch-kultureller Seite, auf die
Ernährung ihrer Kinder zu achten. Schokoweihnachtsmänner sollten, so die
vorherrschende Ernährungslehre, nicht den Weg auf den Speiseplan des Nachwuchses
finden. Allerdings: Essen schmeißt man auch nicht weg! Also verspeist
Frau Laufstrumpf den Schokoweihnachtsmann selbst. Und zwar
"heimlich". Sie schlägt damit mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sie
"rettet" das Lebensmittel als - wenngleich zweifelhaften -
Nährstofflieferanten. Sie bewahrt ihre Kinder vor den negativen Folgen einer
solch süßen Ernährungspraxis. Und sie tut dies zudem hinter deren Rücken, um
weiterhin den Schein als sich "gesund" ernährende Erwachsene aufrecht
zu erhalten. Denn auch darum geht es hier: Die Kinder vor der
(Ernährungs-)Realität der Erwachsenenwelt zu schützen. Sonst nehmen sie
sich alsbald ein Vorbild an uns Schoko-, Pommes-, Tortenessern - und werden noch so
wie wir. Und das gilt es auf alle Fälle zu verhindern.
Verantwortungsbewusstssein in Bezug auf gesunde Ernährung von Kindern, so sehen wir, muss nicht zwangsläufig lustfeindlich sein!
----
Literaturhinweise
Anne Lanfer et al. (2013): Predictors and correlates of taste preferences in European children: The IDEFICS study. Food Quality and Preference 27 (2013), pp. 128–136.
Michal Maimaran and Ayelet Fishbach (2014): If It’s Useful and You Know It, Do You Eat? Preschoolers Refrain from Instrumental. In: FoodJournal of Consumer Research Vol. 41, No. 3 (October 2014), pp. 642-655.
Verantwortungsbewusstssein in Bezug auf gesunde Ernährung von Kindern, so sehen wir, muss nicht zwangsläufig lustfeindlich sein!
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Literaturhinweise
Anne Lanfer et al. (2013): Predictors and correlates of taste preferences in European children: The IDEFICS study. Food Quality and Preference 27 (2013), pp. 128–136.
Michal Maimaran and Ayelet Fishbach (2014): If It’s Useful and You Know It, Do You Eat? Preschoolers Refrain from Instrumental. In: FoodJournal of Consumer Research Vol. 41, No. 3 (October 2014), pp. 642-655.
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