Mittwoch, 14. November 2018

Call for Contribution - Workshop der AG Kulinarische Ethnologie - DGSKA Tagung 2019


Call for Contribution

Geschmackssache?
Gastronomie und Esspraktiken zwischen Aushandlungen und Eigenlogiken

Workshop der AG Kulinarische Ethnologie auf der DGSKA Tagung 2019 an der Universität Konstanz vom 29. September bis 2. Oktober 2019

Organisation: Dr. Daniel Kofahl, Sebastian Schellhaas (M.A.), Dipl.-Soz. Bettina Mann

Im Fahrwasser der Beschleunigung globaler Vernetzung und damit einhergehender Verfügbarkeit von Wissen und Zutaten machten zunächst kulinarische Konzepte wie Fusion und Crossover gastronomische Karriere. Aktuell lässt sich nun eine Betonung von Lokalität, Identität und Ethnizität erkennen. Die Zunahme globaler Ströme von Menschen, Waren und Wissen haben also nicht zur Auflösung kulturspezifischer Ernährungspraxen geführt. Wenngleich die Präsenz globaler Einflüsse stabil bleibt, lässt sich die Betonung der Eigenlogik spezifischer Ernährungspraxen beobachten. Geschützte Herkunftsbezeichnungen, die Fixierung auf kulinarische Traditionen als immaterielles Kulturerbe sowie normativen Diättrends versuchen sich durch partikulare Letztbegründungen zu plausibilisieren und immer stärker als jeweils nicht mehr diskursiv aushandelbare Identitätsangebote zu behaupten.  

Ethnische oder identitätsbezogene gastronomische Betriebe sowie reduktionistische Esspraktiken stehen im Zentrum dieser Entwicklung: Beispiele finden sich in Gestalt von indigener Gastronomie in Kanada, Neuseeland oder von erfundenen Traditionen wie der New Nordic Cuisine, von Ethno-Food-Restaurants in mitteleuropäischen Großstädten oder der Prominenz restriktiver Diätregime. Es entsteht ein Bild, in dem die populärsten Küchen- und Esspraktiken jene sind, die das authentisch Eigene mittels einer Logik der Subtraktion polarisierend festgelegen und das Verbleibende als genuinen, nicht verhandelbaren Kern einer geronnen, bewahrten oder (re-)konstruierten Identität behandeln.

Der Workshop bietet Raum zur Diskussion von Fallbeispielen ethnischer/identitätsbezogener Gastronomie und Ernährungspraxen sowie für theoretische Überlegungen zu den diesbezüglich zentralen Begriffen der Authentizität, Repräsentation und Aneignung als auch zu Fragen und Problemen im Hinblick auf Identitätspolitik, ethnische Diskriminierungen oder Aufwertungen, In-/Exklusion, sozialer Schließung, Präsenz und Abwesenheit. Wir bitten Vortragsvorschläge von max. 2000 Zeichen bis zum 31.1.2019 per E-Mail an kofahl[at]apek-consult.de zu senden.

 Kontakt: Dr. Daniel Kofahl / Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur / Trier / Berlin



Mittwoch, 10. Oktober 2018

FIAN braucht ein Upgrade

Wieder einmal erreicht mich aus der FIAN-Geschäftsstelle eine Pressemitteilung, in der pauschale Technikkritik geübt wird.

Schon die undifferenzierte Kritik an der sogenannten "industrialisierten Landwirtschaft" durch FIAN irritiert mich seit Jahren. Bisher ist der Anstieg der Nahrungsmittelproduktion durch die sogenannten industrialisierten Methoden der einzige in der Realität belegte agrarökonomische Vorgang, der uns überhaupt davon sprechen lässt, dass in der Gegenwart mehr Lebensmittel global zur Verfügung stehen als wir bräuchten, um den Bedarf der (beständig steigenden) Weltbevölkerung an Nährstoffen zu decken. Alle anderen Ideen wie "ökologische Landwirtschaft", "radikal verändertes Konsumverhalten" oder was auch immer, sind zwar schöne Ideen, bislang aber eben einfach bloß Utopien. Deren Praxistest zur Ernährung der Weltbevölkerung - die zu einem großen Teil in urbanen Kontexten lebt und keineswegs kleinbäuerlich am Existenzminimum wirtschaften möchte - steht bislang noch aus oder ist teilweise voll von Bugs ("kleinbäuerliche Landwirtschaft"). Und ich will hier nicht darauf hinaus, jegliche Form radikalkapitalistisch-industrieller Landwirtschaft als gut und hilfreich zu bewerten. Nur ist deshalb auch nicht alles schlecht.

Und nun kommt noch eine pauschale Ablehnung der Digitalisierung der Landwirtschaft hinzu. Anstatt differenziert die Vor- und Nachteile zu erklären kommt eine lavierende Kritik ("kann verschärfen") an den hochmodernen Methoden. Dass die Digitalisierung andersherum tatsächlich dazu beitragen kann, bislang schon bestehende Probleme wie die Diskriminierung von Frauen zu entschärfen (oder können nach der Ansicht von FIAN auf einmal Frauen keine High-Tech-Geräte bedienen? - im Gegenteil liegt die Vermutung nahe, dass hier erhebliches Emanzipationspotential liegt) oder die regionale Produktion zu optimieren (auch was "ökologische Nachhaltigkeit" anbelangt) wird leider in der Pressemitteilung ausgespart. Die Frage ob dann für regionale Märkte produziert wird oder ausschließlich für den Export oder für den Export, der durchaus auch positive Effekte für den heimischen Markt haben kann, hängt schlussendlich überhaupt nicht kausal mit der verwendeten Technik sondern mit politisch-ökonomischen Fragen zusammen, die sich aber freilich schwieriger thematisieren lassen als einfache Technikkritik.  

Ich bin seit Jahren Mitglied bei FIAN. Ich finde, der Kampf gegen (Hidden-)Hunger, gegen Mangelernährung und für das Recht auf Nahrung sowie für Kulinarische Teilhabe (Link 1 / Link 2) ist ein extrem wichtiges Anliegen auch in der hochmodernen Weltgesellschaft. Doch FIAN könnte ein Upgrade in Richtung Hungerbekämpfung 4.1 meiner Meinung nach langsam mal sehr gut tun!


Die Grafik zeigt den Anstieg der globalen Nahrungsproduktions seit den 1960er Jahren. Da die globale Ackerfläche nur marginal angestiegen ist, ist der Anstieg bei den Nahrungsmitteln auf Produktivitätszuwächse zurückzuführen. Resultierend aus industriellen und (hoch)modernen Methoden der Effizienzsteigerung. Somit befinden wir uns derzeit in einem einmaligen historischen Zeifenster, in dem mehr Nahrungsmittel (in Kcal) zur Verfügung stehen als gebraucht würden, um die Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren.
Quelle: Prof. Dr. Martin Qaim, Universität Göttingen, 2012

Dienstag, 3. April 2018

Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) träumt nicht

Die offizielle Dachorganisation der Soziologen in Deutschland wirkt zwar manchmal etwas verschlafen, aber sie träumt nicht. Zumindest nicht auf ihrem alle zwei Jahre stattfindenden Kongress.

Der Kollege Dr. Lars Alberth und ich träumen - obwohl wir selbstverständlich ganz, ganz fleißige und stets wache sowie hochflexible Soziologiecyborgs sind - schon seit einigen Jahren. Manchmal im Stillen für uns, manchmal im Gespräch, manchmal als Schnittpunkte sozialer Kreise. Ich erinnere mich an fruchtbare, gedankenanregende Diskussionen mit Dr. Alberth, die wir bereits im Grundstudium über Kulturtechniken des Traums, der am Traum angelehnten Text- und Bildarbeit (Écriture automatique und Cadavre Exquis) und freilich über die Kunst der Surrealisten führten. 

Zuletzt hatten wir ein recht kleines "Träumchen", nämlich einmal über die sozialen Funktionen und Strukturen von Träumen im erweiterten Kollegenkreis zu debattieren. Als Format dafür erschien uns eine Ad-Hoc-Gruppe auf dem 39. Soziologiekongress in Göttingen im September dieses Jahres als passend. Leider wurde unser Antrag, diese kleine Veranstaltung ausrichten zu dürfen, vom DGS-Vorstand im vorgeschalteten Auswahlverfahren abgelehnt. Der Traum ist, wie man mit einer Floskel kultureller Semantik auszudrücken pflegt, also "geplatzt" beziehungsweise, die DGS "verdrängt" den sozialen Tatbestand des Traums (bis auf Weiteres).*

Doch selbstverständlich gibt es immer auch "die Rückkehr des Verdrängten" und so wollen wir unseren Ad-Hoc Antrag und unsere Idee hier zumindest noch einmal dokumentieren. Eventuell ergibt sich die Möglichkeit, an anderer Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt, die Idee aufzugreifen und sich unseren Fragen "Wovon träumt die Gesellschaft" und "Wie träumen Gesellschaften?" ebenso zu nähern sowie der sozialkulturellen Realität des Irrealen nachzuspüren. 

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Antrag auf eine Ad-hoc-Gruppe auf dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Göttingen, 24.-29. September 2018 (abgelehnt)

Soziologie der Träume – Divergierende Räume und Dynamiken gesellschaftlicher Phantasien, Visionen und Irrealitäten

 „I have a dream!“ – Dieser Satz, gesprochen 1963 von Martin Luther King bei einer Demonstration mit einer Viertel Million TeilnehmerInnen, also einem sozialen Großereignis par Excellence, ist längst in die allgemeinen Wissensbestände der Weltgesellschaft eingegangen. Die zunächst durchaus noch als phantastische oder gar irreale Vision des persönlichen Traums einer individuellen Person, die sich in dem persönlichen Traum und seiner Kommunikation in die Öffentlichkeit offenbarte, entwickelte eine Dynamik in der Realität, die schwerlich zu überschätzen ist. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil dieser Traum gar nicht so singulär individuell gewesen ist, wie dies von Träumen oftmals angenommen wird, sondern eben der Traum eines größeren Kollektivs gewesen ist, wenngleich nicht in dieser Prägnanz ins (Wach)Bewusstsein gerufen. 

Träume sind kein genuines Forschungsfeld der Soziologie, die Deutungshoheit über dieses Phänomen liegt bei der Psychologie, der Psychoanalyse und bei den naturwissenschaftlichen Neurowissenschaften. Es scheint der Grundsatz zu gelten, dass Träume individuell intrinsisch oder organisch sind und deshalb kaum empirische Relevanz für die Soziologie besitzen. Verstreute Ausnahmen finden sich etwa bei Schütz (Träume als den Alltag transzendierende „geschlossene Sinnprovinz“) oder Adorno, der persönliche „Traumprotokolle“ notierte. Fine und Fischer Leighton argumentierten, dass sich Träume als Muster öffentlicher Rhetorik rekonstruieren und kollektiv interpretieren ließen. Soeffner steuerte beim 38. DGS-Kongress einen Beitrag mit dem Titel „Volk ohne Traum?“ bei und attestierte dabei den Demonstranten von PEGIDA und Co den „Traum von einem palisadengeschützen Stammesreservat“. Vor dem Hintergrund dieser sehr disparaten Zugängen, sollen für eine Annäherung an eine Soziologie der Träume drei Punkte in den Vordergrund gestellt werden: 

1. Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive steht die Sozialität strukturierende Frage im Zentrum. So werden in der von Wissenschaftlichkeit geprägten Gegenwartgesellschaft Träume als persönliche Regenerations- oder Verarbeitungsphasen unter medizinischen Gesichtspunkten oder als Artikulation persönlicher Visionen beobachtet – und unterschiedlich bewertet. Gleichzeitig werden sogar die vermeintlich rein individuell-psychologischen Träume für geschlechterkonstruierende Prozesse in Anspruch genommen, wenn – auf unsicherer Datenlage – medial verkündet wird: „Frauen träumen anders als Männer: Mehr Emotionen, mehr Erinnerungen – aber auch deutlich mehr Albträume“ (Welt 2013). Hiervon zu unterscheidenden wären kulturelle Räume, in denen Träume als Mitteilung begriffen werden, die zwar der Einzelne erfährt, die jedoch gesamtgesellschaftliche Relevanz haben. Sie werden dann etwa als Prophezeiungen, Eingebungen oder als Warnungen verstanden, für die es sogar institutionalisierte Deutungssysteme („Oneirologie“) gibt.  

2. Zu klären ist die Frage der sozialen Trägerschaft von Träumen, also ob der einzelne psychisch-biologische Organismus träumt oder ob auch kollektive Einheiten des Sozialen als Träumende in Frage kommen. Wie steht es mit den Träumen von sozialen Bewegungen, um Träume, die nationalen und transnationalen Verbänden zugeschrieben werden („der deutsche Traum“; „der europäische Traum“ etc.) oder um Träume, die von Organisationen artikuliert oder ihnen unterstellt werden (bspw. „der Traum der SPD von der wiedervereinigten Linken“ etc.)? 

3. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive ist die Relevanz von Träumen für die Definition sozialen Geschehens aus der Perspektive der Beteiligten interessant: Dabei kann der strategische Einsatz von Träumen in Praktiken der distinktiven Selbstreflexion, in professionellen Settings, in Aushandlungsprozessen in und zwischen Gruppen, in der Beschaffung und Darstellung von Legitimität für Herrschaftsverhältnisse oder auch als Ressource für Kritik analysiert werden. Untersucht werden kann auch die Einbettung des Träumens und seines sozialen Gebrauchs in die selbstverständlichen Routinen des Alltags und der privaten Lebensführung, für die es eine eigenständige Sinnressource darstellt.

Im Anschluss an diese Problemperspektiven sollen in der Ad-Hoc Gruppe Vorträge diskutieren, wie sich die Soziologie den Fragen nach Traumkonzeptionen, Traumsemantiken und Traumdynamiken theoretisch und methodisch nähern kann, gegebenenfalls unter einem Theorieimport aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Hieran schließen sich analytische Fragen an, wie in der globalisierten Welt räumlich-zeitlich divergierende Traumkonzeptionen reale Dynamiken entfalten können oder in diesen gebremst werden. Die zentralen Fragestellungen sollen in der zu verortenden Ad-hoc-Gruppe durch einen einleitenden Vortrag erörtert werden. 

[...]
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 »Unsere Träume sind nicht nur als ›unsere‹ untereinander verbunden, sondern bilden auch ein Kontinuum, gehören einer einheitlichen Welt an, so etwa, wie alle Erzählungen von Kafka in ›Demselben‹ spielen. Je enger aber Träume untereinander zusammenhängen oder sich wiederholen, um so größer die Gefahr, daß wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können.«
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* oder irgendein Alphaprof möchte die Idee vielleicht selbst aufgreifen und nicht dem Hypothesenproletariat des wissenschaftlichen Mittelbaus überlassen. 

Mittwoch, 7. März 2018

3sat Nano - BroSience gegen Zucker

Die 3sat Facebook Nanoredaktion verhindert leider, dass ich einen wenig seriösen, auf jeden Fall nicht wissenschaftlichen Beitrag auf ihrer Facebookseite zum Thema "Zucker" kritisch kommentiere. (hier der Originalclip auf Facebook)
Darum mein Kommentar zu diesem Clip hier noch einmal: 

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???
 

Zu Punkt 1. Alles was angenehm ist, kann "süchtig" ("Verlangen nach mehr") machen: gute Bücher, süße Bananen, Burgunder, Modelleisenbahnen, romantische Liebe (hochgefährlich! ist spätestens seit Goethes Werther bekannt!) etc.

Zu Punkt 3. Könnt ihr das als Wissenschaftsmagazin nicht noch kausaler formulieren? Vielleicht: "Zucker führt 120prozentig ruckizucki zu Übergewicht!" Also jetzt außer bei mir halt. Und bei massenhaft anderen Menschen auch nicht. Weil es halt keine Kausalität gibt. Man kann Zucker zu sich nehmen und wird trotzdem nicht wohlbeleibter. (Ist das eigentlich schlimm, wohlbeleibter zu sein?!)

Zu Punkt 4. Das ist ja nun gar kein "Fakt", sondern irgendeine Einschätzung aus der Redaktion. "Die große Zuckerindustrieverschwörung! Die treffen sich immer um Mitternacht auf dem Zuckerrübenfeld und verbrennen kritische Studien", oder wie?

Zu Punkt 2. Ist der so gut recherchiert wie die anderen drei hier? (wird in diesen Studien - die ihr hoffentlich gelesen habt! (wahrscheinlich nicht...) eigentlich irgendwo mal nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip gefragt? Belohnen sich Menschen mit Entzündungen vielleicht mit Süßem? Welchen Einfluss hat (Ernährungs)Stress auf Entzündungen?)

Irgendwie ist dieser ganze Beitrag hier mehr wie (für) die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe (gemacht):



Punkt 5. stimmt allerdings wirklich. Warum ist das so? Weil Süßes einfach fast allen gut schmeckt. Aber Zähneputzen nicht vergessen☝️(das hilft übrigens auch gegen das in dem Clip erwähnte Karies, liebes 3sat nano #Lifehack)

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[notreallya]Funfact: In dem ganzen Clip wird auch immer einfach von "Zucker" gesprochen. Wäre es für ein wissenschaftliches Magazin nicht irgendwie interessant zu sagen, um "wieviel" Zucker es geht? Wird man schon nach dem ersten Zuckerkrümel wohlbeleibt, kariös und entzüdet? Oder muss man sich, um so richtig zu entflammen oder ein Dutzend Kilos zuzulegen (das wäre zum Beispiel bei mir der Fall, bis ich endlich "übergewichtig" nach BMI-Maß würde), schon eine halbe Tonne per Trichterfütterung zu sich nehmen? Aber wahrscheinlich reicht es schon, wenn man von Zucker nur gehört hat. Man sollte "Zucker" als Wort aus dem Sprachgebrauch tilgen und lieber nur noch von "Pfeffer" reden...