Mittwoch, 10. Februar 2016

Neue Zahlen zum Biomarkt

Wie jedes Jahr zur Eröffnung der "Biofach"-Messe hat heute der BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) die neusten Zahlen, Daten und Fakten zur Entwicklung der Bio-Branche vorgestellt. Die Vertreter der BÖLW konnten diesmal ein paar für sie sehr erfreuliche Zahlen präsentieren. Darunter zum einen das Umsatzwachstum bei Bio-Lebensmitteln auf dem deutschen Markt um satte 11,1 % (von 7,76 Mrd. 2014 auf 8,62 Mrd. Euro 2015), aber auch der Anstieg des Anteils von Biobetrieben an der gesamten Landwirtschaft von 8,4% (2014) auf 8,7% (2015). Dazu blieben die Erzeugerpreise bei wichtigen Lebensmitteln, wie etwa Milch, stabil, während sie auf dem Markt für konventionelle Produkte einbrachen (was z.B. dem Wegfall der EU-Förderquote u.ä. geschuldet ist).

Hier nun noch einige Aussagen aus dem Text, die nicht ganz so prominent kommuniziert wurden:

a.) Zwar ist der Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe, die nach Bio-Standards produzieren, am gesamten Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe gestiegen, jedoch ist der prozentuale Anteil der biologisch bewirtschafteten Fläche an der Gesamtfläche der Landwirtschaft zurückgegangen: von 6,5% (2014) auf 6,4 % (2015). Ein Grund dafür kann darin liegen, dass es Konzentrationstendenzen bei den landwirtschaftlichen Betrieben gibt und dass die immer größer werdenden konventionell arbeitenden Betriebe einen Flächenzuwachs zu verzeichnen hatten, der über den 2,9% Flächenzuwachs beim Biolandbau lag. So scheinen es dann eher kleinere Betriebe zu sein, die auf Bioproduktion umstellen, während die großen Player konventionell wirtschaften.

b.) Schon vor einigen Tagen wurde vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) ein Umsatzplus von 11,4% im  Naturkost-Facheinzelhandel verkündet und gefeiert. Dabei handelt es sich vor allem um städtisches, also ein durch und durch urbanes Phänomen. Es sind nicht die kleinen Biolädchen auf dem Land die vom Bio-Umsatzplus profitieren, sondern die großen Ketten mit ihren Filialen (wie Alnatura mit seinen Supermärkten). Von den 93 Neueröffnungen waren die überwiegende Mehrzahl größere Läden (Fläche >400m²) in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern, während kleine Läden (<99m²) in Kleinstädten und im ländlichen Raum die meisten der 84 Geschäftsschließungen ausmachten.

c.) Das Umsatzplus ist vor allem einer zunehmenden Konventionalisierung des Bio-Lebensmittelkonsums zu verdanken. Dazu gehört zum einen, dass Bio-Lebensmittel immer stärker in herkömmlichen Supermarkt- oder Discounterfilialen erworben werden (also bei den fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro, die sich rund 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandel-Marktes aufteilen). Dort wuchsen die Umsatzzahlen mit Bio-Produkten mit 13% überdurchschnittlich stark.

d.) Irritierend ist - und leider habe ich darauf trotz Nachfrage an verschiedene Ansprechpartner noch keine Antwort erhalten -, dass aus dem Portfolio der Marktentwicklung bei einzelnen Bioprodukten ausgerechnet "Brot" - ein Lebensmittel, mit dem in Deutschland pro Jahr etwa 13,52 Mrd. Euro umgesetzt werden - gestrichen wurde, und stattdessen "Speiseöl" gelistet wird.

Interview mit Ernährungssoziologe zur Biofach 2016

Interview von Nordwestradio/radioBremen mit Dr. Daniel Kofahl (APEK) zur Eröffnung der "Biofach 2016 - Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel":




Dienstag, 2. Februar 2016

Gentleman la Cuisine - Twitter Ernährungskultur (2)

 
https://twitter.com/kallenje/status/689859051484758016


Es gibt in der Gegenwartskultur einen Hang zur übertrieben Mäßigung. Dies ist ein paradoxes Phänomen, denn es ist das Ideal, es sich nicht zu ideal (vorzüglich) gehen zu lassen beziehungsweise es ist eine Form unvernünftig heftiger Vernunft.

Bei dem Anspruch des Ideals von der übertriebenen Mäßigung handelt es sich entweder:

(i) um einen Rechtfertigungsformalismus, mit dem die Kultur und dann auch individuelle Personen selbst, ihre strukturelle Unmöglichkeit zum es sich unbeschwert Gut-gehen-lassen hinnehmen lernen. Wer gar nicht das nötige Geld oder die nötige Frei-Zeit hat, stets lange gemütlich im Himmelbett auszuschlafen und so ausgiebig genussvoll Leckereien zu schlemmen, wie man möchte, der akzeptiert dies eher, wenn er glaubt, der Verzicht darauf sei vernünftig und anständig. Alle anderen werden entweder depressiv (passiv-fatalistischer Typ) oder neigen zur Revolte (aktiv-optimistischer Typ). Beides unter bürgerlich-kapitalistischen Deutungsmustern wenig geschätzte Lebensstilentwürfe.

oder (ii) um bigottes Geschwätz. In dieser Form kommt es vor allem bei Personen vor, die es sich selbst sehr wohl gut gehen lassen, aber andere gerne zur Mäßigung aufrufen. Seit jeher ist dies die Rolle des aristokratischen oder großbürgerlichen Adels gewesen, der bei heißer Schokolade, Wildbret oder delikaten Häppchen vom üppigen Büffet, die Fress-, Spiel- und Sexsucht der niederen Massen stöhnend bedenkt oder pädagogisch bedauert. Inzwischen findet sich dieses Verhalten als Angewohnt allerdings bei vielfältigen Personengruppen in diversen sozialen Positionen und Lagen.

So kommen beide Formen des Ideals übertriebener Mäßigung ebenfalls in den herkömmlichen Paarbeziehung vor, das heißt, in der Kommunikation zwischen den Liebespartnern. Dabei ist es in Bezug auf die Ernährungspraxis oftmals die Frau, die unter das Mäßigungsdiktat gerät. Qua so mancher Erzählung, die über "das weibliche Wesen" kursiert, ist sie "von Natur" weniger vernünftig, mehr gefühlsbetont und vor allem, wenn man(n) nicht mit Argusaugen wacht, neigt sie zur Übertreibung in zahlreichen Facetten (Hysterie, Naschsucht, Schwärmerei etc.). Und während Männer immer gerne dazu aufgefordert, teilweise auch genötigt werden, noch etwas "größere Portionen zu nehmen" oder gleich Truckerteller und Schwenkkrüge bekommen, weil sie aus ihrem Naturell heraus schon "mehr brauchen", sind Frauen zum Maßhalten angehalten.

Dazu steht die moderne, bürgerliche Frau unter einem Schlankheitsdiktat, das medial mit einer Brachialität in die Ernährungs- und Körperkultur gepresst wird, dass vielen der Appetit verleidet wird. Diätbedingten (Heiß-)Hunger haben sie, die Frauen, selbstverständlich trotzdem. Leider machen sich allzu oft ihre Partner zu billigen Handlagern des körperlichen und nutritiven Mäßigungsfanatismus. Zwar ist überschwängliche Mäßigung nicht weit entfernt von lauer Mäßigkeit, dennoch, Mäßigungsapostel erinnern nur zu gerne ihre Partnerin rüperlhaft daran, beim Essen nicht zu sehr über die Stränge zu schlagen, "auf die Figur zu achten" oder missbilligen körperliche Proportionen, die durch Essen und Trinken verursacht worden sein sollen und die sie kleinmütig für fehlerhaft zu halten gelernt haben.

Jenny Kallenbrunnen weißt dagegen ganz richtig darauf hin, dass das auch anders geht! Der wahre Gentleman ist immer ebenso ein Gentleman la Cuisine. Er ist sich bewusst, dass Genuss und Lebensfreude, und dazu gehört nun mal gutes Essen und Trinken, die Partnerin stets glücklicher und damit schöner machen, und er weiß ebenso, dass die Dame der Wahl sehr wohl selbst bestimmen knan, wieviel sie noch aus dem Kühlschrank nehmen mag. Da ihr hierbei von der Mäßigungskultur mitsamt deren massenmedialen Propagandasalven generell schon ernährungskulturelle Hemmschwellen vor der Kühlschranktür errichtet werden, ist es nur folgerichtig, dass "echte Männer" ihrer Frau die Kühlschranktür aufhalten. Das ist höflich, das ist genussförderlich, das ist - kurzum - das Minimum partnerschaftlicher Arbeits- und Aufmerksamkeitsökonomie. Dann ist es übrigens gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Herzdame nachher durchaus auch noch etwas für den Partner aus dem Kühlschrank zu essen und zu trinken auf dem Arm hat.


Literatur

Robert Pfaller (2011): Wofür es sich zu leben lohnt: Elemente materialistischer Philosophie. S. Fischer.

Christoph Klotter (2008). Der Krieg gegen Übergewicht: Warum er geführt wird, warum er verloren ist, wie er beendet werden könnte. Mitteilungen – Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. 16, 2 – 11.