Jeder weiß, dass Säbelrasseln zum Geschäft gehört (nur zu welchem
eigentlich?). Ebenfalls zum alltäglichen Geschäft gehören Verklärungen. Die
Soziologie, ganz im Sinne der Aufklärung unterwegs, versucht - oder versuchte -
lange Zeit, die Verklärungen zu entzaubern. Dahinter sollte dann die reale
Realität, die ungeklärte zum Vorschein kommen. In der realen Realität musste
man jedoch feststellen, hinter der Verklärung lauerte nur zwei weitere
Verklärungen. Und hinter denen wieder vier Verklärungen. Und so weiter. Die
Entzauberung der Welt von Verklärungen entpuppte sich selbst als Verklärung.
Wie man mit dieser Verklärungskaskade umgehen soll ist umstritten. Die einen
flüchten sich auf die Insel der Beliebigkeit, diejenigen, die sich irgendwo
moralisch infiziert haben, erklären einfach irgendeine fettige Verklärung, an
der sie sich besudelt haben, zur ultimativen Verklärung und wollen, dass alle
dieselbe Verklärung verklären. Ein drittes Milieu wurschtelt sich in kleinen
Schritten durch den Verklärungsurwald so hindurch.
Dass jeder etwas verklärt, ist also nichts Besonderes. Die einen verklären
die Vergangenheit, andere verklären ihren Unmut, andere verklären die
Einfachheit, andere verklären Sitte und Anstand, wieder andere verklären den
Genuss und da hinten, da verklärt jemand sein Geschlecht. Man mag die
verklärten Blicke der jeweils anderen verklärt belächeln und sie von Zeit zu
Zeit damit necken und aufziehen, dass sie sich auf dem Holzweg befinden. Man
sollte dabei vielleicht nur nicht so schwungvoll vorgehen, dass man von seinem
eigenen Holzweg in den Morast rutscht. Allein an dieser Gefahr, im Sumpf
jenseits der Holzwege zu versumpfen, kann man schon erkennen, wie funktional
ein guter Holzweg, gezimmert aus den stabilen Brettern der Verklärung, die ein
jeder vor seinem Kopf trägt. Und die Holzwege führen tatsächlich
irgendwohin.
Die Verklärungen führen also keineswegs zwangsläufig in den Abgrund. Sie
mögen gegebenenfalls in die Irre führen, aber sie geben durchaus Sicherheit.
Sie sind funktionale Konstruktionen. Konstruktionen, so wie der Stuhl auf dem
sitze auch eine Konstruktion darstellt und ich ihn nur deshalb ja nicht gleich
wegwerfe, sondern er funktioniert ja als Konstruktion. Wegen ihm muss ich nicht
auf dem kalten Boden sitzen.
Verklärungen können also stabilisierende Funktionen erfüllen, für das
soziale Zusammenleben (man verklärt das Vertrauen die Liebe und dann verlieben sich
die Menschen tatsächlich, zumindest eine Zeitlang) oder für das Arrangement mit
den Widrigkeiten den Welt, die - wie es im Steppenwolf sinngemäß erwähnt wird -
sich leider allzu oft irrt, so dass das einzelne Individuum oftmals ratlos und frustriert
im Alltag steht.
Ich zum Beispiel verkläre Pariser Bistros. Ab und an reise ich nach Paris,
sitze den Großteil in diesen Establishments, trinke Cafe, esse Croissants,
(früher rauchte ich unzählige Zigaretten, bis mir das von einem verklärten
Gesundheitsdiskurs verleidet wurde), lese Bücher und mache mir dabei Notizen,
als gelte es später am Abend noch André Breton oder den Protagonisten
irgendeines Godardsfilms zu treffen. Das ist natürlich Unsinn. Doch der Ausflug
in die Welt der Pariser Populärgastronomie, seine Heißgetränke und Backwaren
ist eine transkulturelle Notwendigkeitsverklärung, um die fraglos ebenso
notwendig viel profanere Populärgastronomie im profanen Alltagsgeschäft zu
verklären: als eine, die vielleicht nicht an das Pariser Lebensgefühl, den
Pariser Genuss und Pariser Geschmack heranreicht, aber doch immer noch eine
Kopie dieser Verklärung ist und also solche dann doch sehr wohl besuchbar und
es wert, auch hier Kaffee zu bestellen, Torten zu essen und das Notizbuch zu
zücken. Man weiß ja nie, wer sich durch einen unerklärlichen Zufall, zu einem
an den Tisch setzen und ein fruchtbares Gespräch über die funktionale
Verklärung der Welt beginnen wird.
Jean Beraud, Au Bistro |
Literatur: Marc Augé (2016): Das Pariser Bistro. Eine Liebeserklärung. Matthes & Seitz Berlin.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen