Die wertvollen, aber verdrängten alimentären Restbestände finden sich an vielen Orten. Doch zwei sind typisch für sie.
Sie finden sich einerseits gern an repräsentativen Orten. In schönen Schüssel, ordentlich drapiert, stehen sie auf Tischen oder Fensterbänken und zeugen davon, dass sich ihre Besitzer anständig und zumeist vollwertig ernähren. Kleine Pyramiden von Äpfeln oder Schalen von Zitronen stehen herum. Jeder der an ihnen vorbeigeht, kann die guten Absichten in diesem Haushalt erkennen. Ja, "die Absichten". Denn langsam und ofmtals zunächst Zeit unbemerkt, tauchen erste Spuren davon auf, dass es sich in Tat gar nicht um eine Verzehrspraktik handelt, die hier ausgestellt wird, sondern um eine Praktik der guten Absichten und der Kennerschaft, die zum Ausdruck gebracht wird. Erste kleine braune Stellen, die nach und nach matschig werden und letztlich die guten Absichten des Käufers als Abbild des schlechten Gewissens verdichtend in die materielle Umwelt transformieren, führen schließlich dazu, dass das Unweigerliche passieren muss: Die guten Absichten werden im Müll entsorgt. Die Biotonne ist der Kompostfriedhof der löblichen, aber realitätsfernen Intentionen. Es ist das modernde Aufeinandertreffen von gewichtigen sozialen Erwartungen der Kultur an das Individuum auf der einen Seite sowie der Struggle des Individuums auf der anderen Seite, diese Erwartungen zwar fleißig anzuerkennen und anzunehmen, aber eigentlich nicht umsetzen zu wollen.
Nun ja. Manche dieser guten Absichten können auch in haltbarerer Form erworben werden. Zum Beispiel Walnüsse. Die halten, zumindest äußerlich, nahezu ewig, sind allerdings nicht ganz so farbenfroh und dekorativ, deswegen finden sie sich oftmals an den anderen Orten: den Schubladen. Dort können sie liegen und warten auf den Tag, an dem es doch endlich passiert, dass der Besitzer sich denkt: genug der Schlemmerei und Nascherei ungesunden, unvollwertiger Nahrung, ab jetzt ernähr ich mich gesund! Dann greift er zu den Walnüssen, die er vielleicht im November 2007 kaufte, knackt eine, beißt hinein und wird daran erinnert, wie lange er gewartet hat. Und hier endet dann zumeist auch der kurze Anflug ins Reich sittlicher Ernährungsumstellung. Wie in nahezu jedem anderen Lebensbereich auch, flammt die Sittlichkeit kurz auf. Nur um dann allzu oft, von der Realität enttäuscht - da die sie nicht mit offenen Armen, sondern stattdessen mit Vorwürfen empfängt -, wieder herunterzukühlen.
Literatur: Michael Thompson (2003): Müll-Theorie: Die Schaffung und Vernichtung von Werten. Klartext.
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