Die offizielle Dachorganisation der Soziologen in Deutschland wirkt zwar manchmal etwas verschlafen, aber sie träumt nicht. Zumindest nicht auf ihrem alle zwei Jahre stattfindenden Kongress.
Der Kollege Dr. Lars Alberth und ich träumen - obwohl wir selbstverständlich ganz, ganz fleißige und stets wache sowie hochflexible Soziologiecyborgs sind - schon seit einigen Jahren. Manchmal im Stillen für uns, manchmal im Gespräch, manchmal als Schnittpunkte sozialer Kreise. Ich erinnere mich an fruchtbare, gedankenanregende Diskussionen mit Dr. Alberth, die wir bereits im Grundstudium über Kulturtechniken des Traums, der am Traum angelehnten Text- und Bildarbeit (Écriture automatique und Cadavre Exquis) und freilich über die Kunst der Surrealisten führten.
Zuletzt hatten wir ein recht kleines "Träumchen", nämlich einmal über die sozialen Funktionen und Strukturen von Träumen im erweiterten Kollegenkreis zu debattieren. Als Format dafür erschien uns eine Ad-Hoc-Gruppe auf dem 39. Soziologiekongress in Göttingen im September dieses Jahres als passend. Leider wurde unser Antrag, diese kleine Veranstaltung ausrichten zu dürfen, vom DGS-Vorstand im vorgeschalteten Auswahlverfahren abgelehnt. Der Traum ist, wie man mit einer Floskel kultureller Semantik auszudrücken pflegt, also "geplatzt" beziehungsweise, die DGS "verdrängt" den sozialen Tatbestand des Traums (bis auf Weiteres).*
Doch selbstverständlich gibt es immer auch "die Rückkehr des Verdrängten" und so wollen wir unseren Ad-Hoc Antrag und unsere Idee hier zumindest noch einmal dokumentieren. Eventuell ergibt sich die Möglichkeit, an anderer Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt, die Idee aufzugreifen und sich unseren Fragen "Wovon träumt die Gesellschaft" und "Wie träumen Gesellschaften?" ebenso zu nähern sowie der sozialkulturellen Realität des Irrealen nachzuspüren.
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Antrag auf eine Ad-hoc-Gruppe auf
dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Göttingen, 24.-29. September 2018 (abgelehnt)
Soziologie der Träume – Divergierende Räume und Dynamiken gesellschaftlicher Phantasien, Visionen und Irrealitäten
„I have a dream!“ – Dieser Satz, gesprochen 1963 von Martin Luther King bei einer Demonstration mit einer Viertel Million TeilnehmerInnen, also einem sozialen Großereignis par Excellence, ist längst in die allgemeinen Wissensbestände der Weltgesellschaft eingegangen. Die zunächst durchaus noch als phantastische oder gar irreale Vision des persönlichen Traums einer individuellen Person, die sich in dem persönlichen Traum und seiner Kommunikation in die Öffentlichkeit offenbarte, entwickelte eine Dynamik in der Realität, die schwerlich zu überschätzen ist. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil dieser Traum gar nicht so singulär individuell gewesen ist, wie dies von Träumen oftmals angenommen wird, sondern eben der Traum eines größeren Kollektivs gewesen ist, wenngleich nicht in dieser Prägnanz ins (Wach)Bewusstsein gerufen.
Träume sind kein genuines Forschungsfeld der Soziologie, die Deutungshoheit über dieses Phänomen liegt bei der Psychologie, der Psychoanalyse und bei den naturwissenschaftlichen Neurowissenschaften. Es scheint der Grundsatz zu gelten, dass Träume individuell intrinsisch oder organisch sind und deshalb kaum empirische Relevanz für die Soziologie besitzen. Verstreute Ausnahmen finden sich etwa bei Schütz (Träume als den Alltag transzendierende „geschlossene Sinnprovinz“) oder Adorno, der persönliche „Traumprotokolle“ notierte. Fine und Fischer Leighton argumentierten, dass sich Träume als Muster öffentlicher Rhetorik rekonstruieren und kollektiv interpretieren ließen. Soeffner steuerte beim 38. DGS-Kongress einen Beitrag mit dem Titel „Volk ohne Traum?“ bei und attestierte dabei den Demonstranten von PEGIDA und Co den „Traum von einem palisadengeschützen Stammesreservat“. Vor dem Hintergrund dieser sehr disparaten Zugängen, sollen für eine Annäherung an eine Soziologie der Träume drei Punkte in den Vordergrund gestellt werden:
1. Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive steht die Sozialität strukturierende Frage im Zentrum. So werden in der von Wissenschaftlichkeit geprägten Gegenwartgesellschaft Träume als persönliche Regenerations- oder Verarbeitungsphasen unter medizinischen Gesichtspunkten oder als Artikulation persönlicher Visionen beobachtet – und unterschiedlich bewertet. Gleichzeitig werden sogar die vermeintlich rein individuell-psychologischen Träume für geschlechterkonstruierende Prozesse in Anspruch genommen, wenn – auf unsicherer Datenlage – medial verkündet wird: „Frauen träumen anders als Männer: Mehr Emotionen, mehr Erinnerungen – aber auch deutlich mehr Albträume“ (Welt 2013). Hiervon zu unterscheidenden wären kulturelle Räume, in denen Träume als Mitteilung begriffen werden, die zwar der Einzelne erfährt, die jedoch gesamtgesellschaftliche Relevanz haben. Sie werden dann etwa als Prophezeiungen, Eingebungen oder als Warnungen verstanden, für die es sogar institutionalisierte Deutungssysteme („Oneirologie“) gibt.
2. Zu klären ist die Frage der sozialen Trägerschaft von Träumen, also ob der einzelne psychisch-biologische Organismus träumt oder ob auch kollektive Einheiten des Sozialen als Träumende in Frage kommen. Wie steht es mit den Träumen von sozialen Bewegungen, um Träume, die nationalen und transnationalen Verbänden zugeschrieben werden („der deutsche Traum“; „der europäische Traum“ etc.) oder um Träume, die von Organisationen artikuliert oder ihnen unterstellt werden (bspw. „der Traum der SPD von der wiedervereinigten Linken“ etc.)?
3. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive ist die Relevanz von Träumen für die Definition sozialen Geschehens aus der Perspektive der Beteiligten interessant: Dabei kann der strategische Einsatz von Träumen in Praktiken der distinktiven Selbstreflexion, in professionellen Settings, in Aushandlungsprozessen in und zwischen Gruppen, in der Beschaffung und Darstellung von Legitimität für Herrschaftsverhältnisse oder auch als Ressource für Kritik analysiert werden. Untersucht werden kann auch die Einbettung des Träumens und seines sozialen Gebrauchs in die selbstverständlichen Routinen des Alltags und der privaten Lebensführung, für die es eine eigenständige Sinnressource darstellt.
Im Anschluss an diese Problemperspektiven sollen in der Ad-Hoc Gruppe Vorträge diskutieren, wie sich die Soziologie den Fragen nach Traumkonzeptionen, Traumsemantiken und Traumdynamiken theoretisch und methodisch nähern kann, gegebenenfalls unter einem Theorieimport aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Hieran schließen sich analytische Fragen an, wie in der globalisierten Welt räumlich-zeitlich divergierende Traumkonzeptionen reale Dynamiken entfalten können oder in diesen gebremst werden. Die zentralen Fragestellungen sollen in der zu verortenden Ad-hoc-Gruppe durch einen einleitenden Vortrag erörtert werden.
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»Unsere Träume sind nicht nur als ›unsere‹ untereinander verbunden, sondern bilden auch ein Kontinuum, gehören einer einheitlichen Welt an, so etwa, wie alle Erzählungen von Kafka in ›Demselben‹ spielen. Je enger aber Träume untereinander zusammenhängen oder sich wiederholen, um so größer die Gefahr, daß wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können.«
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* oder irgendein Alphaprof möchte die Idee vielleicht selbst aufgreifen und nicht dem Hypothesenproletariat des wissenschaftlichen Mittelbaus überlassen.
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