Freitag, 16. Februar 2024

Vom Sofa-Bundestrainer zum Twitter-Bio-Bauer

Was das große Laien-Interesse an der Landwirtschaft für die Landwirtschaft selbst bedeutet 

Ein großes Interesse der Bevölkerung an Landwirtschaft und Agrarthemen ist zunächst einmal erfreulich, weil Lebensmittelproduktion und Landschaftspflege durchaus Grundlagen unseres Lebens sind. Es signalisiert auch, dass diesen Tätigkeiten eine Wichtigkeit zugestanden wird, die es rechtfertigt, dass sie das kostbare Gut „Aufmerksamkeit“ erhalten. 

Diese Zuwendung und Investition von Aufmerksamkeit auch von Vollblutstädtern oder landwirtschaftlichen Laien kann zur Verbindung von Land und Stadt beitragen, wenn zunächst einmal akzeptiert wird, dass es viel über Landwirtschaft und Agrarthemen zu lernen gibt. Man kann sich auch über niedrigschwellige Bildungsangebote wie gut recherchierte journalistische Artikel, seriöse Podcasts oder Public Science ein Bild davon machen, welche Fragestellungen und Entwicklungen die Landwirtschaft gerade umtreiben.

Unterkomplexe Kenntnisse, übersteigertes Interesse

Problematisch wird das gesteigerte Interesse dort, wo es darin mündet, dass Amateure die Komplexität der Lebensmittelproduktion, der Landwirtschaft, der Agrarökonomie, des bäuerlichen Milieus und so weiter aus dem Stehgreif auflösen wollen. Die Komplexität des Sachverhalts und all die daraus resultierenden Fragestellungen werden mit Alltagsweisheiten, Moralisierungen oder Hau-Ruck-Forderungen simplifiziert. Dabei wähnen sich Personen als Berater oder Experten, die objektiv betrachtet ihre Kenntnisse der Materie überschätzen. Einer Materie, die selbst für langjährige Praktiker oder lange dazu arbeitende akademische Wissenschaftler nicht einfach zu entscheiden sind.

Warum jede und jeder meint, heutzutage etwas zur landwirtschaftlichen Produktion von Lebensmitteln sagen zu können und zu müssen, ist nicht einfach zu beantworten. Gelegentlich findet vermutlich eine Verwechselung der Ebene von Konsumtion einerseits und Produktion andererseits statt, ein agroalimentärer Fehlschluss sozusagen: Menschen essen und meinen dadurch, sich auch detailliert über die Produktion der Zutaten äußern zu können. Andererseits geben nur wenige, denen ihr Mobilfunktelefon kaputt geht, den Elektrotechnikern in der Produktion Ratschläge, welche Materialien sie denn nun besser nicht verbauen sollten und wie Schaltkreise optimaler zu löten seien.

Es kommen in Bezug auf die Landwirtschaft wohl noch mehrere Faktoren zusammen, unter anderem eine Diskussionskultur, in der sich heutzutage nicht mehr nur jeder als Fußballbundestrainer wähnt, sondern zu allem und jedem meint, etwas diskursiv beisteuern zu müssen, was einmal seinen Weg in die (klassischen und in die sozialen) Medien gefunden hat. Und so wähnt sich manch einer als potentiell besserer Bio-Bauer, ohne den Beweis auf dem Feld beziehungsweise den Feldern auch antreten zu müssen.

Agrarthemen bieten sich aber auch deswegen Besonders an, weil das Bild, welches von der hochmodernen Landwirtschaft herrscht, dieser kaum gerecht wird. Es ist weniger so, dass – wie ja gelegentlich gesagt wird – Städter meinen, Kühe seien violett, weil sie das aus der Schokoladenwerbung so her kennen. Es ist eher so, dass keine Vorstellung darüber besteht, wie komplex Landwirtschaft ist. Bildlich gesprochen: Man nimmt an, es ginge darum, Samen aufs Feld auszustreuen, zu warten, dann wächst da etwas, das wird dann geerntet und muss nur noch im Hofladen oder im Supermarkt als Ware ausgelegt werden. Dass hinter all dem längst ausdifferenzierte Wissenschaften wie Land- und Pflanzenbau, Agrartechnik, Agrarökosystemanalyse und -modellierung, Agrarökonomie etc. mit jeweils großer intradisziplinärer Binnenkomplexität und schwierigen Entscheidungsfragen stehen, bleibt den Laien weiterhin verborgen oder ist ihnen einfach nicht bewusst.

Da Agrarthemen etwa in Bezug auf Themen wie ökologischen Umweltschutz, Tierhaltung oder Gentechnik dann auch noch medial besonders symbolisch aufgeladen werden, glaubt manch einer, der wenn es hoch kommt vielleicht Erfahrungen mit dem Anbau von Kresse auf der Fensterbank hat, er können komplizierte Entscheidungen jetzt mal eben so flott in ein paar Twitterkommentaren lösen wie Alexander den gordischen Knoten durchgehauen hat. Dafür ist der Agrarknoten aber de facto zu dick verwickelt und die Schwerter der vermeintlichen Problemlöser zu stumpf.

Postmoderne Zentren, traditionsaffines Umland

In den Debatten über die Landwirtschaft und somit auch über Agrarkultur werden auch sehr umfassende, nicht nur handwerkliche, sondern auch gesellschaftspolitische Fragen ausgehandelt. Das landwirtschaftliche Milieu gilt vielen als Projektionsfläche ihrer Utopie und Ängste. Gerade weil es ihnen sowohl fremd ist, aber gleichzeitig unglaublich existentiell nah erscheint. Der in vielen politischen Zentren der Gegenwart vorherrschende Geist der Postmoderne, mit seinem Faible für Deterritorialisierungen und gelebten Instabilitäten, steht der Landwirtschaft und der in ihnen tätigen Menschen oftmals konträr gegenüber.

Es ist richtig, dass sich aus agrarsoziologischer Perspektive im landwirtschaftlichen Milieu eher wertkonservative Kulturpositionen wiederfinden. Das hat wiederum etwas damit zu tun, dass dort in sehr viel größeren Zeitperioden gedacht, geplant und gerechnet werden muss, als das im Milieu urbaner Sozialtechnologen passiert, die inzwischen gewohnt sind in den Zeitspannen oft zeitlich befristeter Projekte zu denken. Man könnte sagen, dass „Zeitverständnis“ ist in beiden Bereichen unterschiedlich und das führt zu asynchronen Ansprüchen an Entwicklungsschritte. 

Auch das „Raumverständnis“ ist ein anderes. Während immer mehr politische und wissenschaftliche Berufs- und Lebensbiografien heutzutage davon geprägt sind, von einem Ort zum nächsten ziehen zu müssen und somit das Heimatgefühl auf ein diffuses Irgendwo kondensiert, sind Landwirte ganz konkret ökonomisch und existentiell an ihren Boden, an das Terroir, gebunden.

Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven in Zeit- und Raumwahrnehmung resultiert auch eine unterschiedliche Perspektive auf die Dimension des Sozialen, also der Vorstellungen darüber, wie das menschliche Miteinander vernünftig organisiert sein sollte.

Andererseits lässt sich auch erkennen, dass Stadt und Land heutzutage längst nicht mehr völlig kulturell separiert sind. Das bäuerliche Milieu hat eine hohe Technologieaffinität, High-Tech ist aus der Landwirtschaft ja nicht wegzudenken, Lebensmittelproduktion und -handel sind in globale Prozesse eingebunden. Auch Werte wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Tierwohl und so weiter sind keineswegs umstritten. Es gibt also hier weniger Zielkonflikte zwischen Konsumenten und Produzenten, sondern eher darüber, mit welchen Mitteln und in welcher Zeit sie sich erreichen lassen.

Und als diejenigen, die sich eben intensiv mit der Materie beschäftigen, haben Landwirte und Agrarexperten auch öfter als Laien im Blick, welche neuen Probleme entstehen, wenn man die gegenwärtigen löst – gemäß dem Motto: löst man ein Problem, hat man drei neue.

Komplexität akzeptieren, Wandel entschleunigen, Reflexion fortführen

Eine gewisse Grundmoralisierung und Grundideologisierung kann man nie vermeiden, wenn man in einer kulturpluralistischen Gesellschaft lebt. Und unsere Gesellschaft ist von einem massiven Kulturpluralismus geprägt, der sie sowieso an allen Ecken und Enden vor große Herausforderungen stellt.

Damit aber dennoch Konflikte entschärft, verhandelt und konstruktiv mit Problemen umgegangen werden kann, ist es geboten Sachaufklärung zu betreiben und für Komplexität zu sensibilisieren. Es wichtig zu vermitteln, dass es nicht nur um Wertkonflikte, sondern um Sachkonflikte geht. Es muss ein realistisches Bild von Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft in der Breite der Bevölkerung entwickelt werden.

Und letztlich muss auch innerhalb des bäuerlich-agrarischen Milieus das Selbstbild sowohl gepflegt als auch immer wieder aktualisiert werden, da gehört auch Selbstreflexion und Kulturarbeit dazu.

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Dr. Daniel Kofahl ist Soziologe und leitet das Büro für Agrar- und Ernährungspolitik (APEK-Consult). Er lehrt an den Universitäten Wien sowie Salzburg und ist Sprecher der AG Kulinarische Ethnologie in der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA). Weitere Infos hier klicken.

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Dieser Text basiert auf einem Interview mit Isabell Pfaff von Global Food Summit.

 

Der Traum der Verbindung von hochmoderner und traditoneller Landwirtschaft eine Sekunde vor dem Aufwachen.

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